Poststreik

Frau Rahmann redet nicht mehr mit mir.

Ich bin eine böse Nachbarin. Ich habe zwei Wochen lang ein Paket nicht abgeholt.
Dass ich überhaupt nicht wusste, dass da ein Paket auf mich wartet, spielt dabei keine Rolle.
Dass das Paket strenggenommen auch gar nicht für mich ist, sondern für den Schweden. ist auch egal.

Der Schwede ist seit ein paar Tagen mal wieder auf Dienstreise, und Hund und Katze und ich sind alleine zu Haus.
Wie immer, wenn der Schwede nicht da ist, verschiebe ich meine Arbeitsstunden auf den späten Nachmittag bis in die Nacht. Als Selbstständige kann ich das zum Glück aussuchen und ich bin nunmal eine Nachteule. Vor zwölf bekomme ich keinen vollständigen Satz auf’s Papier, egal, wie viel Kaffee.

Also arbeite ich spät und schlafe auch spät. Mein gutes Recht.
Nun verhält es sich aber so, dass wir im Erdgeschoss wohnen und es sich im laufe der Zeit eingespieltt hat, dass die Postboten, ihre Pakete einfach komplett bei uns abgeladen haben, nach gewisser Zeit sogar ohne überhaupt erst bei besagten Empfängern in höheren Stockwerken zu klingeln. Es kam vor, das Nachbarn völlig bestürzt zu mir runter kamen mit den Worten „Ich habe extra den ganzen Tag zuhause verbracht und auf das Paket gewartet! Und nun finde ich den Zettel im Kasten!“. 

Ich hingegen schreckte mehrmals am Tag hoch, wenn die Klingel ging. Zum einen, wenn die fünf Paketboten kamen (DHL, UPS, DPD, Hermes, FedEx) und all ihren Kram anzuliefern, zum anderen, wenn dann nach und nach die Nachbarn angedröppelt kamen, um ihre Post wieder bei mir abzuholen. Manchmal nach Wochen erst. Und hinzu kamen dann nebenbei noch die Flyer- und Werbeprospektverteiler, Freunde von Nachbarn, die ins Haus wollten, hin- und wieder mal ein Handwerker, sogar Grichtsvollzieher hatte ich schon an der Klingel. 

Eine lange Zeit lang wollte ich nicht der Spielverderber sein und habe alles brav angenommen und mitgemacht. Aber wenn man nachts lange arbeitet, dann ist man morgens sehr müde. Und wenn es sich offensichtlich nach einer Weile rumgesprochen hat, dass man offensichtlich für alle den Concierge spielt, und sogar schon die Pakete auch Nachbarhäusern bei einem untergestellt werden, dann nimmt das ganze irgendwann überhand.

Ich sehe ein, dass Postbote ein verdammt stressiger Job ist und dass es extrem nervt, wenn man ständig treppauf, treppab rennt, wieder keiner da ist, man seine Quote erfüllen soll, aber nicht weiß wohin mit der Post, und dann dafür auch noch mies bezahlt wird. Aber ich sehe nicht ein, warum ich den Job umsonst machen soll, noch dazu, wenn gar nicht erst überprüft wird, ob der Empfänger zu erreichen ist.

Kurzum, nachdem Frau Binder von gegenüber auch noch beschlossen hatte, Sammelbestellungen für Versandhäuser zu organisieren und ich plötzlich vor Weihnachten drei riesen Plasmafernseher im Flur stehen hatte, weil sie der Meinung war, mich ungefragt als sogenannten Wunschnachbar zur Lieferabgabe einzutragen, habe ich den Notstecker gezogen. Will sagen, ich habe die Klingel ausgestellt. 

Von heute auf morgen standen sie da mit ihren Paketen und waren, glaub’ ich, echt sauer. Ein Paketbote (ich sag’ nicht von wem. …die Blauen) hat sogar geklopft, so lange, bis ich aufgemacht habe, weil der Hund sonst verrückt geworden wäre. Ob ich das Paket für Herrn sowieso annehmen könnte, und übrigends, meine Klingel sei kaputt. 
"Meine Klingel ist nicht kaputt, ich erhole mich von einer Nachtschicht", er möchte das Paket doch bitte selber zu Herrn xy bringen, ich bin hier nicht die Annahmestelle und ob er es denn schonmal mit direkter Zustellung versucht habe. Er wünschte mir noch einen schönen Tag, aber es klang nicht besonders herzlich.

Und auch Frau Rahmann von nebenan ist nicht begeistert. Seit ich in den Poststreik getreten bin, klingeln die Boten nämlich bei ihr. Sie hat das Glück vormittags oft ausser Haus zu sein, und ich bilde mir ein, sie geht neuerdings sogar noch häufiger schon in der Früh los, um die Paketflut im ihrem Flur klein zu halten. Aber manchmal erwischen sie sie dann doch. 

Ich bekomme meine Pakete an ein Postfach und an eine Paketbox, da habe ich vorgesorgt. Das ist auch viel praktischer so, da kann ich selber entscheiden, wann ich was holen gehe und muss mich bei keinem bedanken (nicht dass sich jemand bei mir bedankt hätte..). Aber der Schwede hat das ganze eher nur am Rande mitbekommen und vergessen, dass er Bestellungen an die Paketbox schicken soll. Also ist sein Paket prompt bei Frau Rahmann gelandet. Und weil ich davon nichts wusste und auch mit nichts gerechnet habe, habe ich es natürlich auch nicht geholt.

Bis eines Tages, also vorgestern Abend, ein kleiner, bissiger Zettel an meiner Tür hing.
„Bitte bei Rahmann klingeln.“
Ich klingelte und sie öffnete und hatte dieses verschraubte, beleidigte Gesicht, so das ich schon dachte, es wäre irgendwas Schlimmes. Wie sich aber herausstellte, war es nur ein kleines Päckchen von der Größe eines halben Schuhkartons, oder so. 
„Das liegt hier schon zwei Wochen!“ giftete sie bei der Übergabe, und „Ihre Klingel funktioniert nicht und ich habe in ihren Briefkasten geschaut, der ist auch voll!“.

"Das geht sie einen Scheiß an!", habe ich zurückgefaucht, und „gehen sie noch einmal an meinen Briefkasten, dann zeige ich sie an wegen Hausfriedensbruch, oder Verletzung des Datenschutzes oder Postgeheimnisses!“: 
Mehr ist mir in dieser spontanen Rage nicht eingefallen. Ich kann es nicht ab, zur Begrüßung angegiftet zu werden, schon garnicht, wenn ich nicht damit rechne und auch eigentlich nicht schuld bin. Sie hat ein Gesicht gemacht, als wäre sie völlig im Recht, und hat mir dann die Tür vor der Nase geschlossen. Nicht geknallt, geschlossen. Sonst hätte sich noch jemand über den Lärm beschweren können, und das riskiert sie für mich nicht. 

Gestern Abend ist sie mir dann wieder im Treppenhaus begegnet. Wie gesagt, sie redet nicht mehr mit mir. Sie starrt mich nur noch mit verkniffenen Lippen böse an.
Albern dass, so ein Aufwasch wegen einem kleinen Paket. Aber so sind die hier im Haus. Viele alte Leute (sie ist 80), die ausser der direkten Nachbarschaft nicht mehr viel von der Welt sehen. Da wird man seltsam. Vielleicht tut ihr der Austausch mit den Postboten in Zukunft dann ja ganz gut:)
 

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