Getroffen

Mit hängenden Mundwinkeln und Weltschmerz-Miene steht Frau Rahmann mit dem Schweden im Treppenhaus als ich nach Hause komme.
Schwede referiert über Dinge, die einfach so sind und die man trotzdem nicht einfach so hinnehmen darf.

Klare Sache: etwas ist passiert.

Schwede nimmt mich nur am Rand war, er will umbedingt seinen Text zuende aufsagen. Als Zuhörer bin ich sehr willkommen, aber dazwischen grätschen ist nicht erwünscht.
Es wird demonstrativ gestikuliert.

Ich stelle mich also brav an und warte ab, schließlich bin ich neugierig. Es stellt sich heraus, Frau Rahmann, 76, ist unmittelbar zuvor die Handtasche geklaut worden.
Das es sowas überhaupt gibt. Ich habe in meinem Leben so oft von Dieben gelesen, die auf dem Fahrrad von hinten an Ihre Opfer heranfahren und die Tasche entreissen, dass ich nicht mehr daran geglaubt habe, so seltsam das klingt. Ich hatte sowas unter „Urban Myth“ abgeheftet.

Und jetzt ist es also unserer alten Nachbarin passiert, die neben der Rente noch putzen gehen muss, um über Wasser zu bleiben.
Viel war sicher nicht in der Tasche.

Sie ist zu stolz, um sich helfen zu lassen. WIr rufen die Polizei, aber viel sagen kann sie nicht. Der Schock hat seine Wirkung nicht verfehlt, sie erinnert sich an so gut wie nichts. Nur das ihr die Hüfte weh tut, weil sie von dem Ruck umgerissen wurde und auf die Seite gestürzt ist.

Mein Hals pocht. Ich träume mich heimlich an die Zeit und den Ort des Geschehens und schubse den Assi von seinem beschissenen Fahrrad, dass es nur so scheppert.
Dem Schweden pocht auch der Hals. Er zieht die Brauen so tief ins Gesicht, dass sie fast die Augen verdecken, und verteilt mit fast jedem Schritt und jeder Bewegung böse schwedische Flüche ans Universum.
Ich hoffe, man hört ihn da und schickt eine große Tüte schlimmstes Karma an den Taschendieb. 

Frau Rahmann weigert sich, ihre Hüfte im Krankenhaus untersuchen zu lassen. SIe will die Tage sowieso zum Arzt, flüstert sie, und ich glaube ihr kein Wort.
Wir begleiten sie in ihre Wohnung und warten, bis der erste und der zweite Schnaps anfangen zu wirken.

Wir wohnen erst knapp einen Monat hier.
Das fängt ja gut an. 

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